Vorgeschichte
Ich stamme aus einer Grossbauernfamilie in Kanton Solothurn und wurde als viertes von fünf Geschwistern am 10. August 1957 geboren. Als ich 11 Jahre alt war verstarb meine geliebte Mutter im Alter von 45 Jahren an einem Hirnschlag. Den schmerzlichen Verlust meiner geliebten Mutter konnte ich nie überwinden. Ich verbrachte nachher etliche Jahre bei meiner Gotte, die eine Gaststätte im gleichen Dorf führte. Ich wurde von ihr sehr verwöhnt. Im Jahre 1971 erfolgte die Wiederheirat des Vaters. Mit der Stiefmutter habe ich mich nicht verstanden. Im April 1974 begann ich eine Lehre als Köchin im Bürgerspital Solothurn. Im Oktober 1975 Lehrabschluss. Während dieser Zeit lernte ich Peter kennen. Er war 15 Jahre älter als ich und hatte nicht den besten Leumund. Aber das störte mich nicht, es war meine grosse Liebe. Von diesem Mann wurde ich schwanger und gebar am 23. Dezember 1975 meinen Sohn Peter. Nach dem Tod meiner Mutter suchte ich Liebe und Geborgenheit. Am Anfang unserer Freundschaft war alles rosarot. Mit der Zeit gab es Streit, ich wurde geschlagen, die Polizei musste des Öfteren ausrücken. Das alles passte meinem Vater und meiner Gotte nicht.
Des Öfteren habe ich sie angelogen. Da ich meinen Lebensunterhalt selber bestreiten musste, kam es auch vor, dass ich sie manchmal bestahl. Aber ich wurde nie angezeigt. Peter hatte nicht immer gearbeitet. Während dieser Zeit verübte ich drei Selbstmordversuche.
Einweisung nach Hindelbank - Statt Hilfe zu bekommen, wurde ich weggesperrt.
Mein Sohn war keine drei Monate alt, als ich am 15. März 1976 durch die Vormundschaftsbehörde der Bürgergemeinde Recherswil nach Hindelbank eingewiesen und dort wie eine Verbrecherin behandelt wurde. Zuvor war ich für ca. zwei Tage im Berner Berzirksgefängnis. Ich hatte das Glück, dass ich dem Anstaltspsychiater Dr. med. Fontana vorgeführt wurde. Nach Anhörung meiner Geschichte wurde ich nach drei Monaten Hindelbank zur Begutachtung in die Klinik Waldau überstellt, wo während drei Monaten das ganze Familienumfeld unter die Lupe genommen wurde. Mein Sohn wurde an einem Pflegeplatz in Solothurn untergebracht. Zu meinem Sohn besteht keinen Kontakt mehr. Ich wollte ihm das Gespött, das seine Mutter in einem Gefängnis war ersparen und habe mich zurück gezogen.
Am 1. Oktober 1976 kam ich wieder frei
Ich ging dann zurück nach Solothurn zu Peter. Er war der einzige, der zu mir gehalten, Besuche abgestattet, Geschenke geschickt und mir immer geschrieben hatte. Einer meiner Brüder hatte im März 1976 unseren Bauernhof angezündet, als ich in Hindelbank war. Als wieder einmal die Polizei ausrücken musste, weil es mit Peter Streit gab, sagte ein Polizist zu mir: „Christina, geh weg von Solothurn und fange an einem anderen Ort ein neues Leben an“. Am 29. August 1980 kam ich in ein Dorf in der Nähe von Olten. Ich hatte eine Stelle als Köchin gefunden. Es war sehr schwer für mich, ein neues Leben anzufangen, weil ich keinen Menschen kannte. Heute nach 28 Jahren bin ich noch immer in diesem Dorf, es wurde zu meiner neuen Heimat. Ich musste kämpfen. 1981 lernte ich meinen Freund kennen. Ihm habe ich die Wahrheit schon ganz am Anfang gesagt. Als ich älter wurde, kam meine Vergangenheit immer mehr zum Vorschein und ich erlitt im Februar 2008 einen Zusammenbruch. Ich war müde vom Kämpfen. Zuvor, am 10. Juli 1991 erkrankte ich an Krebs und konnte geheilt werden. Nach meinem 45. Geburtstag kam alles schleichend: Ich bekam Probleme mit dem Alkohol. Immer wenn etwas passiert ist, habe ich mich mit dem Alkohol getröstet. Zuerst nur an Wochenenden und in den zwei letzten Jahren immer öfters. Bis dann im Februar 2008 nichts mehr ging und ich in die Klinik nach Solothurn (Rosegg) kam.
Am 4. März 2008 begann eine 3-monatige Therapie in der Klinik Wysshölzli in Herzogenbuchsee.
In dieser Zeit wurde ich auf den Artikel im Beobachter vom 21. März 2008 „Zur Erziehung ins Gefängnis“ von Ursula Biondi aufmerksam.
Ich musste warten, weil: meine Therapeutin besetzt war. Der Beobachter lag da auf dem Tisch und ich schaute hinein. Als ich die Überschrift las, glaubte ich, ich sei in einem falschen Film. Ich konnte es einfach nicht glauben, was ich da las. „Ich kann dieses Gefühl gar nicht beschreiben, was in mir vorging“. Es vergingen ca. zwei Wochen und eines Abends konnte ich nicht schlafen. Ich habe dann dem Beobachter geschrieben. Ich muss sagen, es war nicht leicht für mich. Der Brief kam aber zustande. Nach drei Wochen bekam ich Post vom Beobachter. Ich war ganz aufgeregt und konnte den Brief nicht öffnen. Erst am Abend in meinem Zimmer öffnete ich den Brief mit zitternden Händen. Ich konnte es nicht glauben, dass sich auf den Bericht von Ursula Biondi mehr als zwanzig Frauen gemeldet hatten. Von nun an ging es bergauf. Ich stand immer im Kontakt mit Herrn Dominique Strebel, Redaktor des Beobachters, und Ursula Biondi. Ich schrieb Briefe an die Behörden. Und dann am 22. August 2008 war es soweit, ich stand beim Besuch in Hindelbank Frau Biondi, Frau Rita Schreier und Herrn Strebel gegenüber. Ich war sehr aufgeregt gewesen. Ich hatte nach dem 22. August 2008 auch noch einmal einen Rückfall, weil all diese schmerzhaften Erinnerungen zuviel für mich waren. Aber dann kam am 3. Oktober 2008 der grosse Augenblick, als nach 32 Jahren Kampf, Demütigungen, nicht glaubwürdig zu sein, meine Geschichte unter dem Namen Regina Schluep endlich im Beobachter erschien.
Heute bin ich stolz auf mich.
Und jetzt kämpfe ich zusammen mit den anderen Betroffenen für eine moralische Wiedergutmachung. Mein Leben hat wieder einen Sinn bekommen.